Mit allen Mitteln

Mit allen Mitteln
Marjan Colletti, 2012.
Published in KONstruktiv 286, die Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, Austria, pp.12-7. In German. Also featuring Wolfgang Tschapeller and Richard Dank.
„Mit allen Mitteln“ lautete der Titel der Ausstellung im HDA, deren Kurator Sie sind, gemeint waren damit vor allem Hybridisierungen digitaler und analoger Werkzeuge und Prozesse. Welcher Mittel bedienen Sie sich insbesondere in Ihrer Lehr- beziehungsweise Entwurfstätigkeit?

Eine Prämisse: das Wichtigste in der Architektur ist Kommunikation. ArchitektInnen müssen imstande sein mit sich selbst zu kommunizieren (beim Entwurf und der Umsetzung einer Idee/Vision), mit Kollegen (der theoretische und praktische fachspezifische Diskurs innerhalb der Disziplin), mit der Gesellschaft (ein übergreifender Austausch von Bedeutungen und Inhalten), und eben auch mit Tools (z.B. digitale Technologien).
                  Dementsprechend bedeutet Hybridisierung für mich zuallererst die Überlappung von Praxis und Theorie. Dies, sowohl in meiner Entwurfs- als auch in meiner Lehrtätigkeit. Wenn man Architektur nicht nur als Baugewerbe versteht, muss es auch stets eine theoretische Auseinandersetzung mit sich selbst pflegen. Digitale Technologien waren, und sind, so unheimlich wichtig weil sie zunächst eine nun jahrzehntelange theoretische Debatte über Architektur initiierten: wie kann anders entworfen werden und warum? Erst jetzt ist es wirklich dazu gekommen, dass man sich sinnvoll die Fragen stellen kann wie man anders bauen kann; denn die Industrie kann jetzt auch mitziehen. Wobei auch hier digitale Fabrikationsmethoden theoretisch hinterfragt werden sollen. Digitale Technologien können sowohl die praktische als auch theoretische Hinterfragung von Architektur steuern – und ergo: Kommunikation. Deshalb bediene ich mir solcher Technologien, v.a. 3D und 4D CAD Programme und gescripteten tools. Die Benutzung von Rapid Prototyping Maschinerie, CAD/CAM (Computer Aided Design und Computer Aided Manufacturing) -Technologien, d.h. Laserschneiden, Wasserstrahlen, CNC (Computer numerisch gesteuerte) Fräsen, Thermoformen, und Industrierobotern implementiere ich konsequenterweise bewusst, aber auch ganz gelassen.
                  Dass Hybridisierung nun auch die verwischten Grenzen zwischen digitaler und analoger Prozesse und Werkzeuge bedeutet, ist kein Wunder. Die virtuellen Media-Zeiten und die cyber worlds sind Vergangenheit. Wir reden nun von einer post-digitalen Ära, von Neo-Materialismus. Digitale Technologien können und werden die reale Welt verändern und verbessern. Man überlege nur wie stark solche Technologien z.B. die Kommunikationsfähigkeiten vervielfacht haben.
                 

Sowohl im Erdenken und Planen von Strukturen als auch für deren Umsetzung stehen digitale Werkzeuge bereit, die Arbeitsprozesse nicht nur vereinfachen sondern gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen (z. B.: scripted design). Inwieweit verändert sich die Position des Architekten durch diese neuen Werkzeuge?

Der Architekt war für Vitruvius ein „Kind von Theorie und Praxis“. In der Renaissance hat sich dann die Architektur aus der Werkstätte „befreit“ und sich in die Akademie platziert – als „mentale“ Disziplin, die sich mit abstrakten Zeichen beschäftigt: design als di-segno (über Zeichen). Aber immer noch wurde mit mathesis und mythos getüftelt. Mit den neuen digitalen Technologien werden die Grenzen zwischen Zeichentisch und Werkstätte wieder unscharf. Man kann Zeichen entwerfen die aber zugleich auch „Sachen“ sind: das ist richtige Magie (und Mathematik zugleich)! Die Zeichnung ist wirklich, und ganz direkt, die Protokollierung von Manufaktur: file-to-factory Prozesse, die optimierte und einzigartige geometrische und formale Vielfalt zu branchenüblichen oder sogar geringeren Kosten erlauben. Steigende Komplexität bewirkt, dass die 2D Zeichnung vom 3D Modell ersetzt, und das 3D Modelle mit codes und scripts augmentiert werden. Heutzutage sind ArchitektInnen meiner Meinung nach wiederum DemiurgInnen: sie können neue Welten erfinden aber auch selbst fabrizieren.
                  Dies bedeutet, dass mit Building Information Modelling (BIM), und der erweiterten Fähigkeiten der architektonischen Zeichnung (im weitesten Sinn), Komplexität zu verwalten und kommunizieren, ArchitektInnen wiederum mehr (viel mehr) Kompetenz und Übersicht über ein Projekt haben. Alles wird anhand eines digitalen Modells gesteuert.


Architektur kann auch als Konglomerat unterschiedlichster Disziplinen verstanden werden, sie gestaltet mehr als physische Hüllen. Ist die voranschreitende Verwebung der physischen mit der digitalen Welt auch als Erweiterung des Handlungsraums des Architekten zu verstehen? Unser Alltag ist beinahe unausweichlich von virtuellen Räumen und Strukturen durchzogen. Gilt es künftig dies stärker in die Architektur miteinzubeziehen?

Wie schon erwähnt, halte ich die Diskussion über virtuelle Räume und Strukturen als überholt. Unser Alltag ist von wirklichen Digitalwelten durchzogen: das Handy, das Netz, social networks, Designerartikel die natürlich total digital entworfen und fabriziert wurden, Systeme die Flugzeuge nicht zum abstürzen bringen, das Hi-Tech Equipment im Krankenhaus, ihr Urlaubsticket, ihr Bankkonto und Sozialversicherung...
                  Mehr als multidisziplinär, verstehe ich Architektur als interdisziplinär. Der Unterschied ist, dass im ersten Fall die Disziplin als schwach beschrieben wird – sie braucht die anderen Disziplinen um sich zu „beweisen“ – während im zweiten Fall sie als offen, dynamisch und weich verstanden wird – sie kann (falls es gewünscht ist) sich in andere Disziplinen infiltrieren. Trotzdem gibt es die Notwendigkeit zur Spezialisierung innerhalb des „klassischen“ Territoriums der Architektur: ob es sich dabei um konstruktiv-fassadentechnische Details, materialbezogene Fabrikationsmethoden, oder algorithmische Modulsysteme handelt, ist persönliche Vorliebe.
                  Aber: das Gestalten physischer Hüllen ist für mich immer noch sehr wichtig, und sehr schwierig. Es werden ja stets zu viele hässliche und dumme Gebäude entworfen und gebaut. Da helfen virtuelle Räume und Strukturen auch nicht wirklich... Vielen mögen Digitalität als Prozessdenken verkaufen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es geht immer noch um – eigentlich immer mehr – um die Präsenz von Architektur. Da ist die ästhetische Offenheit digitaler tools einzigartig. Mancherlei Architektur könnte dann auch monströs ausfallen. Aber „Monster“, wollte ich noch kurz klären, komme ja aus dem Lateinischem monstrare (aufzeigen), welches wiederum monere (mahnen) beinhalte.


Der Mensch gestaltet seit seinen ersten Ursprüngen seine Umwelt, daraus resultierte eine Kulturlandschaft die unseren eigentlichen Naturbegriff veränderte. Ist die Augmented Reality und in Folge Augmented Architecture die Fortführung dieser Entwicklung. Wie wird die Verwebung virtueller Informationen mit unserer Umwelt Architektur und unsere Wahrnehmung verändern? Werden wir mit aktiven architektonischen Environments konfrontiert?

Endlich: bei Architektur es ist am notwendigsten von Kultur zu sprechen! Oder sogar von Zivilisation. Selbstverständlich hat Kultur unseren Naturbegriff verändert, aber auch umgekehrt: die Naturlandschaft hat unseren Kulturbegriff auch stets verändert (man denke an die klimabezogenen Unterschiede zwischen Kulturen) – oder besser: der Naturbegriff umformt stets unsere Kulturlandschaft. Dies, finde ich, ist heutzutage relevanter als je zuvor.
Ökologie ist ganz klar ein Kulturparadigma geworden; dies bezieht selbstverständlich Architektur ein. Mit Nature 2.0 kommt ein neues Verständnis von Natur, und deshalb von Kultur auf. Vielleicht ist Augmented Architecture noch zu wenig. Benötigen wir nicht mehr als ein Update, eine völlig neue Version von Kultur, Finanz, Nachhaltigkeit? Dies kann nur mit der Verwebung realer, und eben nicht „virtueller“ Informationen geschehen: also wo sich Digitalität sich mit Biologie, Chemie, Mathematik, Statistik usw. verbündet.
Aber wenn wir von aktiven architektonischen Environments sprechen, sollten wir ebenfalls von aktivierenden Environments sprechen. Von Architektur, die zu solchen Veränderungen motiviert. Von Architektur, die kommuniziert, anhand von Gebäuden, dank vieler Ausstellungen, an Lehrstühlen, durch Bücher, mithilfe Zeitschriftenartikeln. Eben: mit allen Mitteln!